Notizen aus der Wissenschaft:
Stichwort: Vernachlässigung
Vernachlässigung
17.05.2011 - Gesundheit
Von Anfang an schlechte Karten
Vernachlässigte Kinder starten mit vorzeitig gealterten
Chromosomen ins Leben
Eine Kindheit in sozialer Kälte beschleunigt das Altern – nicht
nur psychisch, sondern auch körperlich: Vernachlässigte
Kinder aus rumänischen Heimen haben bereits im Alter von sechs
bis zehn Jahren verkürzte Chromosomenenden, ein Zeichen für
die vorzeitige Alterung ihres Erbguts. Das hat ein internationales
Forscherteam durch Erbgutanalysen von 109 Heimkindern nachgewiesen.
Die genauen biologischen Ursachen für den Effekt einer unglücklichen
Kindheit und seine Auswirkungen auf das spätere Leben sind
noch unklar. Studien weisen aber darauf hin, dass kurze Telomere,
wie die Enden der Chromosomen genannt werden, nicht nur die Lebensspanne
verringern, sondern auch mit kognitiven Störungen und einem
erhöhten Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs
verbunden sind.
Die Erbinformationen der höheren Lebewesen sind im Kern einer
jeden Körperzelle in einzelnen Einheiten, den Chromosomen,
zusammengefasst. Die Enden dieser Strukturen bezeichnet man als
Telomere. Sie enthalten keine Bauanweisungen für Proteine
oder Steuermoleküle, bestehen aber aus denselben Bausteinen
wie die Gene selbst – den Nukleotiden. Beim Kopieren der
DNA während der Zellteilung kommt es an den Enden neuer DNA-Stränge
immer zu einem Verlust einiger Nukleotide. Ohne die Pufferfunktion
der Telomere hätte das zur Folge, dass bei jeder Zellteilung
einige Gene verlorengehen würden. Genau darin besteht nach
einer der gängigsten Theorien der Grund für die Zellalterung:
Bei jeder Zellteilung geht ein Teil des Telomers verloren. Dies
ist anfangs unproblematisch, da das Telomer keine Erbinformationen
trägt. Ist es nach einer bestimmten Anzahl von Zellteilungen
aber sozusagen aufgebraucht, werden die eigentlichen Gene angegriffen
und es kommt zur Bildung von schadhaften Zellen.
Für ihre Studie haben Stacy Drury und ihre Kollegen von der
Tulane University in New Orleans DNA-Proben von 62 Jungen und 47
Mädchen aus rumänischen Waisenhäusern gesammelt.
Diese Einrichtungen sind berüchtigt für ihre soziale
Kälte und die Vernachlässigung der Pfleglinge. Die Analysen
ergaben, dass Kinder, die sich seit mindestens fünf Jahren
in den Heimen befanden, deutlich kürzere Telomere besaßen,
als es für ihr Alter angemessen wäre. Der Effekt war
bei den Mädchen dabei stärker ausgeprägt als bei
den Jungen, wie die Forscher feststellten.
„Wir wollen nun herausfinden, ob die Telomere sich wieder
erholen können, wenn ein Kind aus einem Waisenhaus in eine
liebevolle Pflegefamilie kommt, oder ob das frühe Unglück
sich dauerhaft im Erbgut der jungen Menschen widerspiegelt“,
sagt Charles Nelson, einer der beteiligten Wissenschaftler, der
für das Bukarester Kinder-Frühförderungs-Projekt „Early
Intervention Project“ in Rumänien arbeitet.
Die Wissenschaftler um Stacy Drury von der Tulane University
in New Orleans präsentieren ihre Studie im Fachmagazin „Molecular
Psychiatry", Bd. 16, Vol. 6.
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