Notizen aus der Wissenschaft:
Stichwort: Gedächtnis
Gedächtnis
10.12.2007 - Hirnforschung
Wie das Gehirn seinen Arbeitsspeicher erweitert
Ein Filtersystem trennt wichtige von unwichtigen
Erinnerungen
Schwedische Forscher haben ein Filtersystem
im Gehirn identifiziert, das die Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses erhöht:
Es bearbeitet Erinnerungen so, dass nur die wesentlichen Informationen
abgespeichert und irrelevante Details verworfen werden. Je effizienter
diese Vorauswahl funktioniert, desto besser ist die Leistungsfähigkeit
des sogenannten Arbeitsspeichers des Gehirns – des Teils
des Kurzzeitgedächtnisses also, der Informationen zum sofortigen
Abruf bereithält. Das Filtersystem scheint die individuelle
Merkfähigkeit dabei mindestens ebenso stark zu prägen
wie die eigentliche Speichergröße, schreiben die
Forscher.
Die These, eine große Arbeitsspeicherkapazität lasse
sich auf das effiziente Trennen von entscheidenden und unwesentlichen
Informationen zurückführen, gibt es schon länger.
Um nun die physiologischen Grundlagen dieses Systems zu identifizieren,
griffen Fiona McNab und Torkel Klingberg zu einem Trick: Sie führten
mit 25 Freiwilligen verschiedene Gedächtnistests durch und
sagten ihnen jeweils vor dem Beginn, ob es neben den eigentlich
wichtigen Informationen auch solche geben würde, die lediglich
der Ablenkung dienten. Anschließend verglichen die Wissenschaftler
die Hirnaktivität der Probanden bei der Ankündigung
einer Ablenkung mit der vor den Tests ohne eine solche
Vorhersage.
Zuständig für das Filtersystem des
Gedächtnisses
sind demnach drei Hirnareale: der präfrontale Cortex,
das Putamen und das Pallidum. Sie werden bereits aktiv,
bevor die zu
filternden Informationen eintreffen und scheinen daher
vor allem für die Vorbereitung des Filtervorgangs
wichtig zu sein. Je größer ihre Aktivität
dabei ist, desto besser ist später auch die Merkfähigkeit
und desto weniger Überflüssiges
wird abgespeichert, zeigten weitere Gedächtnistests.
Dabei ist nach Ansicht der Forscher der präfrontale
Cortex für
die Überwachung und Steuerung des Systems verantwortlich,
ein Areal, das als eine Art oberste Kontrollinstanz im
Gehirn gilt. Putamen und Pallidum, die zu den tiefer
im Gehirn liegenden sogenannten
Basalganglien gehören, sind hingegen für die eigentliche Ausführung
zuständig.
Der Gedächtnisfilter sei also vergleichbar mit einem Pförtner,
erklären die Forscher: Er sortiert die hereinkommenden Informationen
vor und ermöglicht es dem Arbeitsspeicher so, sich nur auf
die wesentlichen zu konzentrieren. Gleichzeitig verhindert er,
dass nicht benötigte Daten die begrenzten Ressourcen des Gehirns
belegen. Da die Aktivität der für die Filterung zuständigen
Hirnareale zudem individuell verschieden ist, erklären die
Ergebnisse zumindest teilweise, warum manche Menschen ein gutes
und andere ein schlechtes Gedächtnis haben, so
die Wissenschaftler.
Fiona McNab und Torkel Klingberg
(Karolinska-Institut
in Stockholm): Nature Neuroscience, Online-Vorabveröffentlichung, DOI: 10.1038/nn2024
Gedächtnis
03.04.2008 - Hirnforschung
Im Hirn gilt: Qualität vor Quantität
Der Arbeitsspeicher des Kurzzeitgedächtnisses erfasst wenige
Daten in hoher Auflösung
Um sich Zahlen oder Bilder kurzfristig
zu merken, setzt der hirninterne Arbeitsspeicher eher auf Qualität als auf Quantität:
Anstatt eine große Anzahl von Gegenständen in einer
niedrigen Auflösung abzuspeichern, erfasst er lediglich einige
wenige Objekte in einer hohen Auflösung, haben US-Psychologen
gezeigt. Die Verteilung der Ressourcen folgt dabei einem Alles-oder-Nichts-Prinzip – entweder,
ein Gegenstand wird mitsamt sämtlicher Details gespeichert,
oder er wird überhaupt nicht registriert. Auf diese Weise
nutzt das Gehirn die begrenzten Kapazitäten des Arbeitsspeichers
optimal aus, wenn Daten nur für wenige Sekunden benötigt
werden, etwa beim Zusammenzählen von zwei Zahlen.
Für ihre Studie zeigten die Forscher ihren Probanden ganz
kurz kleine farbige Vierecke auf einem Bildschirm und baten sie
anschließend, in einem Farbkreis genau die Farben anzuklicken,
die die Figuren gehabt hatten. Dahinter steckte folgende Überlegung:
Wenn ein Viereck im Arbeitsspeicher abgelegt wird, müsste
die gewählte Farbe nahe an dessen tatsächlichem Farbton
liegen. Ist es hingegen nicht erfasst, wäre auch keine Information über
die Farbe verfügbar und die Farbwahl erfolgt zufällig.
Aus der Auswertung lassen sich zudem zwei Informationen parallel
ablesen, so die Überlegung der Psychologen. Zum einen verrate
sie, wie viele Vierecke abgespeichert werden und zum anderen, wie
detailreich und genau die Erinnerung an die erfassten Objekte ist.
Die ersten Tests zeigten eindeutig, dass zwar die Wahrscheinlichkeit,
sich an eine Farbe erinnern zu können, mit der Menge der Vierecke
abnimmt. Die Präzision einer Erinnerung an eine einzelne Farbe
hängt hingegen nicht von der Anzahl der Objekte ab. Demnach
macht der Arbeitsspeicher keine Zugeständnisse an die Qualität
der Daten, nur um mehr Gegenstände abspeichern zu können – selbst
wenn das bedeutet, dass er nur relativ wenige Objekte gleichzeitig
erfassen kann, so das Fazit der Wissenschaftler.
Wie weitere Experimente zeigten, scheint er seine Ressourcen zudem
nicht beliebig aufteilen zu können – so, wie beispielsweise
ein halber Liter Saft nach Belieben auf drei Becher verteilt werden
kann. Vielmehr wird der Saft, beziehungsweise die Speicherkapazität,
in Päckchen aufgeteilt, schreiben die Psychologen: Entweder,
ein Objekt bekommt ein oder sogar mehrere Speicherpäckchen
zugeteilt und wird demnach als detailreiches Bild Gedächtnis
behalten, oder es erhält kein Päckchen und wird folglich
gar nicht erst erfasst. Damit ist nach Ansicht der Forscher die
bereits seit Jahrzehnten diskutierte Frage geklärt, wie Daten
im visuellen Arbeitsspeicher abgelegt werden. Als nächstes
wollen sie nun testen, ob dieses Alles-oder-Nichts-Prinzip auch
bei komplexeren Formen angewendet wird und ob die Ergebnisse helfen
können, das Kurzzeitgedächtnis zu verbessern.
Weiwei Zhan (Universität von Iowa, Iowa City) und Steven Luck
(Universität von Kalifornien, Davis): Nature, Online-Vorabveröffentlichung,
DOI: 10.1038/nature06860
Gedächtnis
Visuelles Gedächtnis: Darum merkt man
sich nur das Wichtigste
Das menschliche Bilder-Gedächtnis ist nicht besonders gut,
längst nicht jedes Detail können wir uns merken. Der
Grund: Platzmangel im Kurzzeitgedächtnis. Laut einer neuen
Untersuchung nutzen Menschen jedoch einen Trick, um das Wichtigste
nicht zu vergessen. Von Nicole Simon
Menschen betrachten nicht alles mit der gleichen
Aufmerksamkeit
Wie merken sich Menschen, was sie sehen und
wieso prägen sich
bestimmte Details besonders gut ein? Die Wissenschaftler Paul Bays
und Masud Husain von der University College in London konnten in
einer Studie zeigen, dass das visuelle Kurzzeitgedächtnis
des Menschen zwar nicht besonders groß ist, dafür allerdings
viel flexibler eingesetzt werden kann, als Forscher bisher annahmen. Über
ihre Studie berichten sie im Fachblatt "Science".
Seit nunmehr fast 50 Jahren glauben Wissenschaftler,
dass Menschen nur drei oder vier Details einer Szene in ihrem
Kurzzeitgedächtnis
zwischenspeichern können. Diese Annahme galt es für die
beiden Forscher zu hinterfragen. Zu diesem Zweck sollten Probanden
einen Bildschirm beobachten, auf dem verschiedene Objekte zu sehen
waren. Nach kurzer Zeit erlosch das Bild, anschließend kehrte
ein Objekt auf die Bildfläche zurück. Die Freiwilligen
mussten nun beurteilen, ob das Objekt nun weiter rechts oder weiter
links aufgetaucht war. Die Treffergenauigkeit nahm zwar mit der
Anzahl der Objekte auf dem Ursprungsbild ab, allerdings kontinuierlich
und nicht schlagartig bei vier Personen, wie man nach den alten
Theorien vermuten könnte. Es scheint demnach keine festgelegte
Anzahl an Dingen zu geben, die man sich merken kann. Bestimmte
Details sind allerdings einprägsamer als andere.
Die wichtigsten Infos haben Vorrang
Die Forscher vermuten, dass Menschen sich
Details einer Szene nach einer Art Rangliste merken. Passend
zu Olympia erklären sie
das am Beispiel des Staffellaufs: Menschen schenken der Mannschaft,
die sie interessiert, wahrscheinlich besonders viel Aufmerksamkeit
und merken sich diese Bilder besser. Zudem behalten sie den Stab
im Blickfeld, das wichtigste Detail bei der ganzen Rennerei. Sollte
jemand der Läufer pinke lange Haare haben, wird auch das nicht
unbemerkt bleiben. Dinge, die jedoch weniger interessant sind,
wie etwa die Kleidung der Sportler von anderen Teams rücken
in den Hintergrund. Anschließend erinnert man sich nur spärlich
an sie.
"
Es dreht sich alles darum, das Kurzzeitgedächtnis für
die Dinge zu nutzen, die am wichtigsten sind", sagt Bays. "Wenn
etwas unsere Aufmerksamkeit erregt, dann stellen wir automatisch
den größten Teil unseres Kurzzeitgedächtnisses
zur Verfügung, weil es wichtig sein könnte." Für
den Rest bleibe nur wenig Gedächtnisspeicher übrig. "Sehen
bedeutet auch die Bilder im Kurzzeitgedächtnis zwischenzuspeichern.
Dieser Speicher ist allerdings unglaublich klein." Und so
nehmen Menschen Details nicht wahr, obwohl sie in ihrem Sichtfeld
liegen.
Nur für kurze Zeit gespeichert
Die Wissenschaftler konnten mit ihren Experimenten
zudem zeigen, wie kurzlebig die Informationen im Kurzzeitgedächtnis sind.
Probanden konnten sich besser an ein Objekt auf einem Bildschirm
erinnern, das sie sich genauer ansehen wollten, als an das Objekt,
welches sie zuvor gesehen hatten.
"
Wenn wir uns entscheiden, einen Gegenstand oder eine Person anzusehen,
erwarten wir, dass es etwas Bedeutsames ist und packen es in unser
Kurzzeitgedächtnis", sagt Bays. "Selbst wenn wir
es noch nicht genau angesehen haben, erinnern wir uns besser daran,
als an den Gegenstand den wir zuvor betrachtet haben."
Sehstörung aufgrund von Platzmangel
Für Masud Husain hat dieses Ergebnis auch eine praktische
Bedeutung. Er arbeitet als Neurologe. Dabei steht er immer wieder
in Kontakt mit Patienten, deren Gehirn beschädigt ist, etwa
nach einem Schlaganfall. Manchmal führt das zu einem Krankheitsbild,
bei dem die Patienten bestimmte Sichtbereiche nicht mehr wahrnehmen. "Wenn
diese Menschen beispielsweise eine Zeitung lesen, nehmen sie die
linke Seite nicht mehr wahr", so Husain.
"Ein Grund dafür ist, dass ihr Speicherplatz im Kurzzeitgedächtnis
zu klein ist", sagt Husain. "Dann sehen sie Dinge nicht,
obwohl ihre Augen sie wahrnehmen."
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