Notizen aus der Wissenschaft:
Stichwort: Epigenetik
Epigenetik
14.08.2008 - Genforschung
Großmutters gefährliches Erbe
Mit Hilfe der Epigenetik können Krankheiten
mehrere Generationen überspringen
Auch wenn der Vater bei der Entstehung eines Embryos seine
Gene beisteuert: Den größeren Anteil an der Entwicklung
eines Menschen hat die Mutter. Ihr Ernährungsverhalten und ihr
Stoffwechsel prägen die Entwicklung des Kindes – häufig
über zwei Generationen hinweg. So ist beispielsweise das Diabetesrisiko
höher, wenn die Großmutter mütterlicherseits Diabetikerin
war.
" Ganz die Oma", sagen Eltern manchmal,
wenn ein Wesenszug ihres Kindes sie an die eigene Mama erinnert.
Das ist zwar nur ein Spruch – aber ein Körnchen Wahrheit
steckt möglicherweise darin, denn der Lebensstil der Oma und
ihr Erbgut prägen auch die Enkel. So wird Diabetes über
die mütterliche Linie viel leichter weitergegeben als über
die väterliche, erläutert der Geburtsmediziner Andreas
Plagemann von der Berliner Charité. Die Kinder einer Frau
mit unerkanntem Diabetes tragen im Schnitt ein doppelt bis dreimal
so hohes Risiko für die Stoffwechselstörung. Das setzt
sich über die Generationen fort: Wenn Oma zuckerkrank ist,
ist die Erkrankungsgefahr für die Enkel mütterlicherseits
besonders groß.
Ein ähnliches Ungleichgewicht zwischen
mütterlicher und väterlicher Linie ist auch beim Übergewicht
zu beobachten. Eine übergewichtige Frau bringt eher Kinder
zur Welt, die ebenfalls dazu neigen, zu viele Pfunde anzusetzen.
Auch die Kindeskinder müssen mehr als üblich auf die Linie
achten – und auch mehr als Enkel beleibter Großväter.
" Es ist klar, dass bestimmte Eigenschaften über die mütterliche
Linie auffällig häufig auf die nächste Generation
übergehen", erläutert Jörn Walter, Epigenetiker
an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken. Eine
Dominanz des weiblichen Einflusses deckte auch eine norwegische
Studie auf, in der Forscher 600.000 Frauen untersuchten, bei denen
während der Schwangerschaft Bluthochdruck auftrat. Diese sogenannte
Präeklampsie tritt doppelt so häufig bei Töchtern
von betroffenen Müttern auf. Die Söhne einer solchen Mutter
tragen hingegen deutlich seltener zu einer Schwangerschaft mit Präemklampsie
bei.
Warum der weibliche Beitrag manchmal größer
ist als der männliche, daran forschen Wissenschaftler derzeit
sehr intensiv. Mehrere Vorgänge bei der Entstehung und Entwicklung
neuen Lebens, in denen die Frau eine prägende Rolle spielt,
sind bereits bekannt. "Die befruchteten Eizellen sind voll
mit Komponenten, die alleine von der Mutter kommen. Die Zellkraftwerke,
die Mitochondrien, stammen nur von ihr und die Zellflüssigkeit
ebenfalls", betont Walter. Sowohl die Mitochondrien als auch
die Zellflüssigkeit sind Schlüsselfaktoren bei der Entwicklung
des frühen Embryos. Wie sich das auf das spätere Leben
genau auswirkt, ist bislang allerdings nicht geklärt.
Während der Schwangerschaft befindet sich
das heranwachsende Kind zudem vollständig in der mütterlichen
Umgebung. Es wird von ihr mit Nährstoffen versorgt und steht
in Kontakt mit ihrem Gewebe. "Ihr Stoffwechsel programmiert
dabei auch den des Ungeborenen", ist Plagemann überzeugt.
Eine Schwangere, die beispielsweise zu viel isst, setzt auch ihr
Baby einem zu großen Nahrungsangebot aus. Das Kind entwickelt
einen ähnlich ausgeprägten Appetit wie die Mama. Es kommt
heißhungrig zur Welt. Diese fetale Programmierung erklärt
laut Plagemann, weshalb Diabetes und Übergewicht vorrangig
über die mütterliche Linie weitergegeben werden.
Auch auf andere Weise kann die Handschrift der Mutter auf das Kind
übergehen. Bei der Entstehung neuen Lebens tragen die beiden
elterlichen Erbgutteile jeweils das mütterliche und das väterliche
Methylierungsmuster – eine Art Schaltplan, der bestimmt, welche
Gene eingeschaltet und welche inaktiv sind. Damit der Embryo sich
entwickeln kann, müssen diese epigenetischen Muster von Mann
und Frau zunächst nahezu vollständig gelöscht werden.
Dabei verliert das väterliche Erbgut in der befruchteten Eizelle
schon während der ersten Stunden fast komplett seine männliche
Prägung. Erstaunlicherweise bleibt das mütterliche Erbgut
dagegen zunächst, wie es ist, beobachtete Walter. "Man
kann sagen, am Anfang wird das väterliche Erbgut vermütterlicht",
veranschaulicht der Forscher. Erst im Laufe der ersten Zellteilungen
werden dann auch die mütterlichen Erbinformationen epigenetisch
weitgehend ausradiert.
Beim Umprogrammieren des Musters kommt es in
einem von tausend Fällen zu Fehlern, was mitunter zu Krankheiten
führen kann. So kann es passieren, dass mütterliche Prägungen
nicht korrekt ausradiert und epigenetisch weitervererbt werden.
Zum Beispiel weist ein kleiner Teil behinderter Menschen mit dem
sogenannten Prader-Willi-Syndrom ein mütterliches Methylierungsmuster
auf einem väterlichen Chromosom auf. Dieses Chromosom stammt
von der Großmutter väterlicherseits, wie Karin Buiting
von der Universitätsklinik Essen herausfand.
Sie vermutet, dass das Chromosom von der Großmutter
in die Samenzellen ihres Sohnes gelangte, dort nicht epigenetisch
wie üblich gelöscht und so falsch programmiert an das
Kind weitergegeben wurde. Von dem Mann wurde es dann an sein Kind
weitergereicht, ebenfalls ohne epigenetisch zurückgesetzt zu
werden. Damit findet sich ein winziger Teil von Omas Epigenom eins
zu eins im Enkel wieder, was in diesem besonderen Fall eine schwere
Erkrankung nach sich zieht. Die Betroffenen sind häufig kleinwüchsig
und nehmen nach dem 12. Monat stark an Gewicht zu.
"Solche Erkrankungen sind jedoch sehr
selten, weil die Umprogrammierung des Methylierungsmusters normalerweise
sehr gut funktioniert", erläutert Walter. Jedoch gibt
es Hinweise, dass über die epigenetische Vererbung Eigenschaften
über eine Generation hinweg auf die nächste übertragen
werden können. Aber erklärt das die Ähnlichkeit von
Oma und Enkel? Die Epigenetik liefert wohl nur ein Teil der Antwort
auf diese Frage, an der Wissenschaftler weltweit mit Hochdruck forschen.
Epigenetik
13.03.2009 - Genforschung
Neues von der Epigenetik
Forscher gehen der Frage nach, ob Lebenserfahrung
vererbt werden kann
Der genetische Code allein ist nicht alles: Gene in Zellen
werden auch durch Umwelteinflüsse ein- und ausgeschaltet. Diese
Aktivitätsmuster können auch von den Eltern auf die Kinder
vererbt werden, haben Studien gezeigt – eine für viele
Forscher faszinierende Entdeckung. Doch dieser Effekt beschränkt
sich nur auf seltene Ausnahmen, sagen Wissenschaftler.
Ist Erlerntes erblich? Beeinflusst die eigene
Ernährung die Gesundheit der Enkel? Einige Forschungsergebnisse
deuten in diese Richtung: Das Musterbeispiel ist ein Versuch von
1998, in dem schwangere Mäuse Futter mit besonders viel Folsäure
erhielten. Die Ernährung der Mütter legte in den Nachkommen
ein Gen still, was deren Fellfarbe änderte. Auch beim Menschen
gibt es Hinweise darauf, dass Umwelteinflüsse über Generationen
hinweg
wirken: 2005 errechneten britische Forscher, dass Männer aus
Nordschweden häufiger Diabetes bekamen, wenn ihre Großväter
in einer Zeit ertragreicher Ernten aufwuchsen und nicht hungern
mussten.
Bei Mäusen kann sich sogar geistiges Training auf die Nachkommen
auswirken, wie eine im Januar erschienene Studie zeigte: Weibliche
Mäuse erhielten kurz nach Geburt eine Therapie gegen eine erbliche
Gedächtnisschwäche. Auch die Nachkommen trugen den Gendefekt
– und erbten die Heilungserfolge der Therapie, die ihre Mütter
Monate zuvor genossen hatten.
Heißt das also, die Kinder werden kleine Pollinis, wenn man
selbst nur fleißig Klavier übt? Kurz gesagt: Nein. Bei
den genannten Beobachtungen handelt es sich um sehr exotische Phänomene.
In aller Regel werden nur Anlagen vererbt, die von Geburt an feststehen.
Die seltenen Ausnahmen erklärt die sogenannte Epigenetik,
ein recht junges Forschungsfeld, dass sich damit beschäftigt,
wie veränderliche Informationen in der Zelle gespeichert sind.
Denn nicht nur der eigentliche DNA-Code steuert die Entwicklung
einer Zelle: Auch epigenetische Faktoren entscheiden, welche Abschnitte
der DNA zum Einsatz kommen und welche nicht, wurde in den vergangenen
Jahren klar.
Ein zentraler Mechanismus ist die sogenannte Methylierung: In methylierten
DNA-Abschnitten sind bestimmte DNA-Bausteine mit zusätzlichen
kleinen Molekülen markiert. Die Methylierung beeinflusst die
Wirksamkeit von Genen und schaltet viele Gene komplett ab. Aufgrund
solcher Gendeaktivierungen unterscheiden sich beispielsweise Leberzellen
von Haarzellen, obwohl sie denselben DNA-Code besitzen. Man spricht
auch von epigenetischen Informationen oder dem Epigenom einer Zelle.
Professor Heinrich Leonhardt erforscht an der Ludwig-Maximilians-Universität
in München die DNA-Methylierung bei Mäusen und Menschen:
"Geschätzt zwei Drittel der menschlichen Gene sind durch
Methylierung gewebespezifisch stillgelegt. Das heißt, sie
sind nur in bestimmten Zellarten aktiv." Die epigenetischen
Informationen werden wie die DNA bei der Zellteilung kopiert –
mit dem angenehmen Effekt, dass uns keine Haare auf der Leber wachsen.
Im Unterschied zur DNA kann das Epigenom jedoch durch äußere
Einflüsse verändert werden. Leonhardt: "Lang anhaltender
Stress kann durchaus zu epigenetischen Veränderungen beispielsweise
in den Nervenzellen führen und so deren Leistung beeinflussen."
Könnte es also sein, dass Kinder eine epigenetische Genschablone
erben, die im Laufe des Lebens ihrer Eltern geprägt wurde?
Leonhardt hat Zweifel: "Das ist natürlich ein reißerisches
Thema, weil das zentralen Dogmen der Biologie widerspricht. Aber
bei der Befruchtung wird die Methylierung größtenteils
entfernt. Das ist auch sinnvoll, damit der Embryo ein neues Muster
setzen kann. In der Eizelle werden die epigenetischen Informationen
also quasi auf Null gesetzt." Anders sei es jedoch bei den
sogenannten geprägten Genen, erklärt Leonhardt: Beim Menschen
sind das etwa 100 bis 200 von knapp 25.000 Genen. "Diese geprägten
Gene werden von den Eltern entweder in aktiver oder stillgelegter
Form vererbt und dieses Muster bleibt in den Nachkommen erhalten",
berichtet der Forscher.
Jörn Walter ist Professor für Genetik an der Universität
Saarbrücken und koordinierte das Schwerpunktprogramm Epigenetik
der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Auch er ist skeptisch: "Die
epigenetischen Informationen werden bei der Fortpflanzung in aller
Regel gelöscht – und zwar zweimal: in der Keimzelle und
in der befruchteten Eizelle. Dabei kann es natürlich manchmal
zu Störungen und spontaner Nichtlöschung mit entsprechenden
Konsequenzen kommen – in aller Regel sind aber erbliche epigenetische
Veränderungen durch Veränderungen der DNA bedingt.
Epigenetische Vererbung geschieht also bei Säugetieren höchstens
bei den sehr wenigen geprägten Genen oder als Ergebnis von
Fehlfunktionen. Zudem wirken die wenigsten Veränderungen im
Körper überhaupt auf Zellen, die bei der Fortpflanzung
eine Rolle spielen. Walter: "Wenn ich große Mengen Folsäure
zu mir nehme, was die Methylierung allgemein beeinflusst, kann das
natürlich Auswirkungen in den direkten Nachkommen haben. Aber
das würde ich nicht als Vererbung bezeichnen. Klassische Vererbung
erfordert, dass etwas über mehrere Generationen weitergegeben
wird."
Die Vererbungslehre wird also vorerst nicht revolutioniert. Von
der Epigenetik versprechen sich Wissenschaftler dennoch wichtige
Erkenntnisse, gerade in der Medizin. So spielen bei der Entstehung
von Krebs epigenetische Veränderungen eine große Rolle,
da diese natürliche Schutzmechanismen der Zelle deaktivieren.
Epigenetik
25. August 2015
Holocaust-Überlebende geben Trauma an ihre Kinder
weiter
Traumatische Erfahrungen noch vor der Schwangerschaft
führen zu epigenetischen Veränderungen bei den betroffenen
Eltern und deren Kindern
Ein internationales Team angeführt von Rachel Yehuda,
Professorin am Mount Sinai Hospital in New York, und für die
molekularen Analysen von Elisabeth Binder, Direktorin am Max-Planck-Institut
für Psychiatrie in München, hat die Gene von 32 jüdischen
Personen untersucht, die während des Zweiten Weltkriegs entweder
in einem Konzentrationslager gefangen waren, gefoltert wurden oder
sich verstecken mussten. Die Wissenschaftler haben außerdem
die Gene deren Kinder analysiert, die bekanntermaßen ein erhöhtes
Risiko für Stresserkrankungen haben. Diese Daten wurden dann
mit jüdischen Familien verglichen, die während des Holocausts
außerhalb von Europa gelebt hatten.
Im Zentrum der Untersuchungen standen epigenetische Veränderungen
im Gen FKBP5, das schon lange im Fokus von Elisabeth Binder ist.
„‘Epigenetisch’ nennt man Abläufe, die nicht
die eigentliche Erbinformation verändern, sondern diese nur
besser oder schlechter zugänglich machen“, erklärt
Elisabeth Binder. „FKPB5 bestimmt, wie wirkungsvoll der Körper
auf Stresshormone reagieren kann und steuert so das gesamte Stresshormonsystem.
Das FKBP5-Gen ist bei vielen Krankheiten wie beispielsweise der
Posttraumatischen Belastungsstörung oder der Depression verändert.
Jetzt konnten wir zeigen, dass es wohl auch generationsübergreifende
Effekte gibt.“
Die Forschungsergebnisse geben einen Hinweis darauf, dass ‘epigenetische
Vererbung’, also die gesammelten Erfahrungen während
des Lebens der Eltern, einen Einfluss auf die Gene der Nachkommen
haben und eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Kinder spielen
könnten. „Die epigenetischen Veränderungen bei den
Kindern scheinen nicht durch deren eigene Erfahrungen in der Kindheit
verursacht worden zu sein, sondern können tatsächlich
nur durch das Holocaust-Erleben der Eltern erklärt werden“,
sagt Rachel Yehuda. „Umwelteinflüsse wie Stress, Rauchen
oder Ernährung können sich auf die Gene unserer Kinder
auswirken. Um die generationsübergreifenden Effekte von traumatischen
Erfahrungen einzudämmen erhoffen wir uns, durch frühes
Erkennen der epigenetischen Markierungen zukünftig vorbeugende
Maßnahmen ergreifen zu können.“
AN/HR
Epigenetik
13.04.2014
Vererbte Traumata
Extreme Erlebnisse verändern die Betroffenen.
Und oftmals auch Jahre später ihre Kinder. Forschende der Universität
und ETH Zürich haben nun einen Puzzlestein entlarvt, wie die
Vererbung von Traumata zustande kommen könnte.
Medienmitteilung Hochschulkommunikation
Eidgenössische
Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich)
In der Psychologie ist das Phänomen schon lange bekannt: Traumatische
Erlebnisse lösen Verhaltensauffälligkeiten aus, die von
Generation zu Generation weitergegeben werden. Dass physiologische
Vorgänge dahinterstecken, beginnen Wissenschaftler erst langsam
zu verstehen. „Es gibt Erkrankungen, wie zum Beispiel bipolare
Störungen, die familiär auftreten, aber nicht auf ein
bestimmtes Gen zurückzuführen sind“, erklärt
Isabelle Mansuy, Professorin an der ETH und Universität Zürich.
Mit ihrer Forschungsgruppe am Institut für Hirnforschung der
Universität Zürich untersucht sie die molekularen Prozesse
der nicht-genetischen Vererbung von Verhaltensveränderungen
nach extremen Stresserfahrungen.
Nun ist es den Forschenden um Mansuy gelungen, eine wichtige Komponente
dieses Phänomens zu identifizieren: kurze RNA-Moleküle.
Diese werden durch Enzyme hergestellt, welche einzelne Abschnitte
der Erbinformation (DNA) ablesen und anhand dieser Vorlage RNA produzieren.
Andere Enzyme schneiden anschliessend diese RNAs zurecht, so dass
daraus eine Vielzahl verschiedener als Micro-RNAs bezeichneten Moleküle
entstehen. Diese kommen natürlicherweise in Zellen vor und
übernehmen regulierende Aufgaben, beispielsweise steuern sie,
wie viele Kopien eines bestimmten Proteins produziert werden.
Kleine RNAs mit grosser Wirkung
Mansuy und ihr Team untersuchten die Anzahl und Art verschiedener
Micro-RNAs in Mäusen, die sie stressigen Situationen ausgesetzt
hatten, und verglichen die Werte mit nicht-gestressten Mäusen.
Dabei entdeckten sie, dass Stress zu einem Ungleichgewicht der Micro-RNAs
in Blut, Gehirn und in Spermien führt. Das heisst, von einigen
Micro-RNAs gab es mehr, von anderen weniger als in entsprechenden
Zellen der Kontrolltiere. Dadurch laufen Zellprozesse, die durch
diese Micro-RNAs gesteuert werden, aus dem Ruder.
Nach den Stresserfahrungen verhielten sich die Mäuse deutlich
anders: Sie verloren zum Teil ihre natürliche Scheu vor offenen
Räumen und hellem Licht. Diese Verhaltensauffälligkeiten
übertrugen sich auch auf die nächste Generation durch
Spermien, obwohl der Mäusenachwuchs selbst keinem Stress ausgesetzt
wurde.
Noch bis zur Enkelgeneration vererbt
Auch der Stoffwechsel des Nachwuchses der gestressten Mäuse
ist beeinträchtigt: Insulin- und Blutzuckerspiegel lagen bei
diesem tiefer als bei Jungtieren, deren Elterngeneration keinen
Stress erfahren hatte. „Wir konnten erstmals beweisen, dass
traumatische Erfahrungen den Stoffwechsel beeinträchtigen und
diese Veränderungen erblich sind“, sagt Mansuy. Die Stoffwechsel-
und Verhaltensänderungen setzten sich sogar noch bis in die
nächste Generation fort.
„Mit dem Ungleichgewicht der Micro-RNAs in Spermien haben
wir einen Informationsträger entdeckt, über den Traumata
vererbt werden könnten“, erklärt Mansuy. Es seien
jedoch noch einige Fragen offen, zum Beispiel wie genau es zu dem
Ungleichgewicht der kurzen RNAs kommt. «Sehr wahrscheinlich
sind sie Teil einer Wirkkette, die damit beginnt, dass der Körper
zu viele Stresshormone produziert.“
Der gleiche Mechanismus könnte aber auch der Vererbung anderer
erworbener Eigenschaften zugrunde liegen, vermutet die Forscherin.
„Die Umwelt hinterlässt ihre Spuren im Gehirn, den Organen
und auch in Keimzellen. So werden diese Spuren teilweise an die
nächste Generation weitergegeben.“
Derzeit arbeiten Mansuy und ihr Team daran, die Rolle der kurzen
RNAs in der Traumavererbung auch bei Menschen zu untersuchen. Da
sie das Ungleichgewicht der Micro-RNAs bei Mäusen auch im Blut
nachweisen konnten, sowohl bei der Eltern- als auch bei der ersten
Nachwuchsgeneration, hoffen die Wissenschaftler, daraus einen Bluttest
für die Diagnostik entwickeln zu können.
Literaturhinweis:
Gapp K, Jawaid A, Sarkies P, Bohacek J, Pelczar P, Prados J, Farinelli
L, Miska E, Mansuy IM: Implication of sperm RNAs in transgenerational
inheritance of the effects of early trauma in mice. Nature Neuroscience,
April 13, 2014, DOI: 10.1038/nn.3695
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